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Jan Reichow: Gegen "Nada Brahma"
Polemisches zu Joachim-Ernst Berendt (1989)

Wenn ein Autor von seiner Radio-Sendung sagen kann, sie sei "die erfolgreichste Sendung, die der Südwestfunk je in seinem Kulturprogramm gehabt hat", zögert der Kritiker unwillkürlich: Tausende von Hörerinnen und Hörern können nicht irren; zumindest hat der Autor einen Nerv getroffen, der auf einen Beethoven-Zyklus oder eine Joyce-Lesung nicht reagiert. "Immer wieder habe ich mich gefragt, was ich da wohl ausgelöst habe. Ein Hörer aus Mainz schrieb: 'Diese Sendung hat mein Leben verändert.' Eine Hörerin aus Österreich: 'Endlich weiß ich, warum ich lebe.' Viele Hörer gebrauchten die Worte 'Nada Brahma' zum Abschluss ihrer Brief als Grußformel." (JEB)

Sobald uns klar wird, dass es sich in erster Linie um Lebenshilfe-Sendungen oder eine Art Weltanschauungskursus gehandelt haben muss, finden wir den Schlüssel zum Erfolg dieser Sendungen, die auch von zahlreichen anderen Sendern übernommen wurden, in Buchform veröffentlicht und nun als viel verkaufte CD-Kassetten von Zweitausendeins auf den Markt geschickt wurden. Jeder, der nachdenkt, könnte heute etwas Lebenshilfe gebrauchen. Niemand weiß, was unter den heutigen Bedingungen das 'richtige Leben' sei, niemand weiß, ob die Bedingungen überhaupt noch so deutbar sind, dass sich für den einzelnen oder das Ganze ein Sinn ergibt; möglicherweise können wir uns ein privates Refugium von Harmonie nur leisten, solange die Brutalitäten andernorts für uns erledigt werden.

Und nun steht jemand auf und sagt mit hundert und aberhundert Argumenten, die Welt ist Klang, die Welt wird gut, freuet euch! - da sollen wir nicht aufhorchen, viele Briefe schreiben und hoffen, dass da wirklich einer weiß, wo's langgeht??

Wer beschreibt meine Enttäuschung, wenn ich ihn dann Musik, die ich liebe, in einen Topf rühren sehe mit dürftigen Computerklängen, die man für Planetentöne halten soll; wenn ich ihn Schriftsteller, die für große Aufklärer gelten dürfen (Goethe, Adorno, Canetti), beiläufig erwähnen sehe, - ohne dass auch nur eine Spur ihres Denkens in seinem Werk wahrnehmbar wäre -, während ihm ein ganzer Zettelkasten von Zitaten aus zweiter und zweitrangiger Hand zu Gebote steht, meistens unter irgendeinem Signum von Wissenschaft, gegen die er andererseits mit Hilfe Paul Feyerabends zu Felde zieht.

Richtiges, Falsches, Gutgemeintes und einfach Irreführendes ist hier eine schier unentwirrbare Verbindung eingegangen, wird zudem in einem Ton vorgetragen, der kritischen Widerstand von vornherein zu lähmen sucht, mal durch Beschwörungsformeln ("...die meisten dieser Forschungen befinden sich erst in ihren Anfängen. Und doch wissen wir genug, um folgern zu können: Klang ruft die Welt. Die Welt ruft in Klängen. Die Welt i s t Klang. Nada Brahma."(JEB), mal durch finale Statements ("Goethe hat es geahnt: Die Sonne tönt... Wir Heutigen wissen es." JEB), mal durch Brandmarkung Andersdenkender ("Der Rationalist muss sich sagen lassen: Er ist nicht informiert, er lebt immer noch im vergangenen Jahrhundert, er weiß nicht, dass ..." - "Kein Mensch lasse sich einreden - wie es immer noch die Beengteren unter den Sprachforschern versuchen, ihre Kollegen dabei als 'unwissenschaftlich' diskriminierend - dass ..." JEB).

Vielleicht verdankt manch einer, besonders in der jüngeren Generation, die Entdeckung des Zen-Buddhismus den Sendungen, dem Buch oder der CD-Fassung "Nada Brahma"; dann wäre dringend auf die maßgeblichen Werke hinzuweisen, die schon Ende der 50er Jahre erschienen: die intelligente Einführung von Alan Watts (der auch schon das von JEB vielfach angeschnittene Sex-Thema in "Natur - Mann und Frau" hinreichend behandelte), die Bücher von Dumoulin, von Herrigel und natürlich von Suzuki. Dann aber nicht zu vergessen - sozusagen als Feuerprobe einer allzu unreflektierten Fernost-Begeisterung - Artur Koestlers ketzerisches Buch "Von Heiligen und Automaten".
Kurz und gut: Dieser Aspekt von "Nada Brahma" bietet nichts Neues. Mich interessiert allerdings, woran es liegt, dass jemand mit soviel Themen umgeht, die mich interessieren, ohne dass es mich interessiert. Ich glaube, das kommt daher, dass beim Hören wie bei der Lektüre von "Nada Brahma" eine deutlich vernehmbare und überhaupt nicht mystische Stimme in mir fortwährend sagt: Das stimmt nicht! Das glaube ich nicht! Das könnte ganz anders sein!

Einige Beispiele: "Was lehrt uns die Sprache? Was - zum Beispiel - bedeutet es, dass das Wort VERNUNFT - eines der gepriesensten unserer Zivilisation - von VERNEHMEN kommt, also von einem Hörvorgang, während doch das exakt parallel gebildete Wort VERSEHEN eben ein Versehen - eine Täuschung - bezeichnet?" (JEB) Offenbar hat JEB hier die taktile Komponente des Wortes VERNEHMEN überhört, die auch in dem der Vernunft nahen BE-GREIFEN hervorgekehrt wird; sie ist auch in WAHRNEHMEN enthalten, ebenfalls in AUFNEHMEN, einem Wort, das einen Sehvorgang ebenso wie einen Hörvorgang kennzeichnen, allerdings auch einen Vorgang des Verstehens einleiten kann (nachdem ich z.B. eine JEB-Fragestellung mit Aug' und Ohr aufgenommen habe) oder auch den Verstand überfordern kann (wenn ich z.B. das zu dem Wort VERNUNFT exakt parallel gebildete Wort VERSUNFT betrachte oder auch das zu dem Wort VERSEHEN exakt parallel gebildete Wort VERHÖREN anschaue, das ebenfalls eine Täuschung bezeichnet).

"Warum hat die Sprache das Wort AUFHÖREN geschaffen? Warum identifiziert sie das Ende, den Schluss, das Fertig-Sein mit dem Aufhören zu hören, dem Ende des Hörens?" (JEB) Wie bitte? Hat JEB gar nicht in das Wort AUFHÖREN hineingehört? Ist es denn gleichbedeutend mit dem Hören-Aufhören? Heißt denn AUFHÖREN nicht vielmehr, bei einer Tätigkeit innehalten, um besser zu hören, so wie etwa ein Reh im Äsen innehält, um aufzuhorchen? Aufhören also hieße, anfangen zu hören - und eine solche Chance lässt sich JEB entgehen...

Wir kommen zu der wundersamen Umwandlung von Wissenschaft in Phantasie: "Professor Dr. Kippenhahn vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München schreibt: 'Um das Jahr 1960 bat ich in einem Vortrag meine Zuhörer, sich einmal vorzustellen, es gäbe ein Gerät, das die gesamte aus dem Weltall kommende Strahlung in hörbaren Schall umwandelt. Neben dem gleichmäßigen Rauschen des Sternlichts und den Radioausbrüchen der Sonne würde man das Rauschen der damals bekannten Radioquellen hören ... Es wäre eigentlich eine recht langweilige Sache gewesen. Heute, zwanzig Jahre später, muss ich das Bild revidieren. Neben der damals bekannten Strahlung würden nun die inzwischen neu entdeckten Quellen das Hörbild vom Weltall bestimmen ... Wahrscheinlich sind es vor allem die Neutronensterne, die für diesen Lärm verantwortlich sind, den unser gedachter Apparat aus der vom Weltall kommenden Strahlung an unser Ohr weitergibt.'" (JEB)

Man beachte, dass der von JEB zitierte Autor sich sehr präzise ausdrückt:
"es g ä b e ein Gerät, das ... Strahlung in hörbaren Schall  u m w a n d e l t", "w ü r d e man ... hören", "es wäre", "würden", "unser gedachter Apparat". Offensichtlich hat der Wissenschaftler hier eine Analogie gewählt, die der sinnlichen Vorstellungskraft seiner Zuhörer unmittelbarer zugänglich ist als es die Aufzählung unterschiedlicher Strahlungen wäre: aber er versäumt nicht, den fiktiven Charakter dieser Analogie deutlich zu markieren, einmal durch regen Gebrauch des Konjunktivs, dann durch die Bitte, sich ein Gerät v o r z u s t e l l e n , das Strahlen in hörbaren Schall  u m w a n d e l t .
Das hindert JEB nicht, die Phänomene, die sich nach der Umwandlung durch das Gerät ergäben, schlicht für die eigentlichen zu halten; wenn er persönlich fortfährt, gibt es keinen Konjunktiv mehr: "Dass der Kosmos voller Klang, voller Sound ist - diese Entdeckung verdanken wir der modernen Radioteleskopie", und weiter geht's mit dem "Amateur Radio Astronomer's Notebook", das sich mit anthropomorpher Ausdrucksweise sogleich als rechte Amateur-Arbeit zu erkennen gibt: "Auch der riesige Planet Jupiter ... produziert seine ganz besonderen Geräusche, riesige, schnelle Seufzer wie das intensive Röhren einer fernen Brandung ... Auch die Sonne macht ihre Geräusche ... brüllende Laute von beängstigender Intensität ..." Man erfährt also, dass der Apparat inzwischen existiert und offensichtlich zu nichts besserem dient als der Umwandlung kosmischer Strahlungen in ein pseudo-reales Hörbild, das nach einer weiteren, diesmal verbalen Umwandlung endlich auch den deutschen Schrebergärtner erschauern lassen kann.

Der naive Rollenwechsel der Phänomene - an dem fast durchweg sprachliche Ungenauigkeit, unkritische Analogiebildung oder eben die Autorität eines Apparates beteiligt sind - ermöglicht es, nahezu alles, was imposant ist, als eine Sonderform des Klanges darzustellen. Jegliches Ding, aus dem sich eine Frequenzzahl ableiten lässt, muss sich auch gefallen lassen, per Computer in den "mittleren Bereich menschlicher Hörbarkeit" transportiert zu werden. Ein Erdenton, ein Sonnenton wird zum Meditieren angeboten: Ich überlege, warum uns der Computer nicht eine erdigere (sonnigere) Klangfarbe liefert oder ob weder Erde noch Sonne günstigere Daten zum Erscheinungsbild ihres Tones übermitteln konnten.

Nein, zum Computer mag ich nicht meditieren. Als Musiker könnte ich nicht einmal einen Kontrabasston, der in den mittleren Bereich der Spielbarkeit durch eine Piccoloflöte oktaviert wurde, fürderhin als Kontrabasston akzeptieren, und nun soll ich kleiner Mensch mich meditierend in einen angeblichen Erdenton, einen Sonnenton hineinbetrügen lassen? Wie müsste ich mich schämen, wenn ich - vom Größenwahn beflügelt - erwache und bemerke, dass da nur ein Apparat gebrummt hat!

"Damit das Wort 'Klang' in diesem Zusammenhang vollends klar wird, muss realisiert werden: 'Klang' existiert für das wissenschaftliche Denken durchaus auch als Abstraktum. So empfinden ihn auch die Musiker: Bevor sie ihn spielen, lesen sie ihn in der Partitur. Schon dort ist er Klang. Oder sie hören ihn klingen in ihrem Inneren. Erst dann 'speisen' sie ihn ein in ihr Instrument. In genau diesem Sinn 'speist' das Universum ständig Klänge in jedes einzelne seiner 'Instrumente' - vom Atom, und vom Gen bis zum Planeten und Pulsar." (JEB)

Diesen Rollenwechsel des Klanges, des in der Partitur gelesenen, sollten wir nachklingen lassen: "Schon dort ist er Klang. Oder sie hören ihn klingen in ihrem Inneren." Oder so ähnlich.

Lieber Professor h.c.! Für einen Musiker liegen zwischen diesen Nadas ganze Brahmas. Ich kann ein wenig Partitur lesen, und das heißt: Ich stelle mir den Klang vor. Wenn mir aber jemand erklärt, das s e i bereits der Klang, verzeihen Sie, so möchte ich ihm all meine abgenutzten Lieblingsschallplatten um die Ohren knallen oder ihn zu einem gemalten Mittagessen ins Museum einladen.

Manch einer meint vielleicht, "Nada Brahma" habe mit Musik zu tun, da soviel von Klang, vom Ohr und vom Hören die Rede ist. Hier und da gibt es auch - abgesehen von Computertönen und allerhand rituellen, akustischen oder einfach schicken Ereignissen - tatsächlich ein Musikstück, vor allem, wenn der Text passt ("Amen", "Hallelujah", "Wer Ohren hat zu hören", "Wachet auf, ruft uns die Stimme"); fragt man aber, ob es irgendwo in "Nada Brahma" eine Zeile oder eine Passage gibt, die das Musikverständnis vertieft, müsste geantwortet werden: Nein, nicht eine einzige.

Und schlimmer als in Pop-Sendungen wird jenes oberflächliche, partikulare Hören demonstriert, das ein wirkliches Sich-Einlassen ausschließt. Nicht zwei Minuten eines Bruchstücks aus Mozarts A-dur-Klavierkonzert werden uns gelassen, ohne dass die samtene Stimme des Nada-Brahma-Propheten sich wieder mit nichtigen Informationen in den Vordergrund drängt; ja selbst eine "Phantasiereise des Ohrs" (Reiseziel: Kitsch) sollen wir unbedingt an seiner Hand abtreten. Ich danke.

JEB gleicht einer Mutter, die ihr Kind fortwährend zur Konzentration ermahnt, ohne die geringste Ahnung zu haben von der Arbeit, die dank Konzentration zu bewältigen wäre. Er gleicht dem Langweiler, der in langweiliger Gesellschaft seine Freunde immer wieder mit dem Ausruf "Stimmung!" zu ermuntern sucht.

In der Tat, das Kapitel "Harmonie als Ziel der Welt" eröffnet Aspekte einer Musikgeschichte, wie sie langweiliger und unmusikalischer kaum vorstellbar ist. Zudem stimmt kein Wort.

"Am Anfang menschlichen Musikempfindens wurden nur einstimmige Linien als 'wohlklingend' empfunden." Eine durch nichts zu belegende Behauptung; zweifelhaft schon, ob der "Anfang menschlichen Musikempfindens" mit Linien zu tun hatte (vielleicht nur mit Sprachakzenten, vielleicht nur mit expressiver Akklamation?). Danach soll die Entdeckung der Oktave gefolgt sein, später die von Quinte und Quarte (schön geregelt der Obertonreihe nach). "Noch im Mittelalter galt die Terz als ausgesprochen misstönendes ... Intervall. ... Für uns Heutige ist die Terz ein Inbegriff konservativen Wohllauts." (JEB)

Klar - da es sich ja um ein anderes Intervall handelt; Terz ist durchaus nicht gleich Terz. Die mittelalterliche, pythagoreische, sehr hohe Terz empfinden wir heute noch als ebenso scharf und dissonant wie die mittelalterlichen Musiker, während jene über unsere zu engen Quinten entsetzt wären.

"Die stärkere Beliebtheit von Dur gegenüber Moll wird auch heute noch mit dem größeren Konsonanz-Reichtum der Dur-Tonleitern erklärt." Von wem? Alle Konsonanzen und Dreiklänge der Durskala kann man auch in Moll verwenden. Der harmonisch größere Reichtum erklärt vielmehr die seit der Barockzeit wachsende Beliebtheit von Moll.

"Erst durch die temperierte Stimmung wurde das Wunder der Modulation möglich." Also haben Palestrina, Schütz, Bach nicht moduliert?? (Möglicherweise meint JEB gar nicht Modulation, sondern enharmonische Verwechslung.) "Erst nach der Einführung der gleichschwebenden Temperaturen im 17. Jahrhundert ..." Nein, selbst 1722 im "Wohltemperierten Klavier" von Bach wird sie noch nicht vorausgesetzt (wegen ihrer schwerwiegenden Nachteile); Bach erwartet eine gute ("Wohl-") Temperierung, keine gleichschwebende, die sich erst Anfang des 19. Jahrhunderts durchsetzte.

Doch nun zur Grundthese: "Jede Disharmonie strebt danach, sich in eine Harmonie aufzulösen." Sogar einen selbstformulierten Satz wie diesen vermag JEB misszuverstehen. Er besagt ja, dass ein dissonanter Akkord danach strebt, sich in einen konsonanten aufzulösen; es handelt sich also um zwei Akkorde, die im Verhältnis von Spannung und Entspannung zueinander stehen (z.B. G7 - C). JEB will aber von einem Spannungsverhältnis grundsätzlich nichts wissen, er will, dass der dissonante Akkord sein dissonantes Wesen ein für alle mal aufgibt, und so behauptet er, die Musikgeschichte verwandle alle "Missklänge" (durch Abstumpfung, durch Gewöhnung?) in "Wohlklänge".

In Wahrheit sind die Klänge aber das, was sie sind, nicht von Natur aus, als isolierte Wesen, sondern durch Funktion, durch von Menschen geschaffenen Zusammenhang. Und so behält eine Dissonanz innerhalb des Horizontes einer Beethoven-Sonate ihre Spannung unvermindert, selbst wenn sie innerhalb der modernen Unterhaltungsindustrie längst als wohlklingender Pfefferminzakkord gehandhabt wird. Dass Musik etwas mit Bewegung, Spannung, Polarität, Leidenschaft, Leben zu tun hat, davon weiß diese ärmliche Nada-Brahma-Harmonielehre nichts. Ihr mag es genügen, wenn fortschreitende Lähmung sich mit zunehmend glücklichem Mienenspiel paart.

Das Äußerste an Zumutung ist aber erreicht, wenn uns Experimente geschildert werden, in denen unschuldigen Pflanzen Musik von Bach und Ravi Shankar vorgespielt wird. Eindeutiger Sieger: Ravi Shankar. "Die Pflanzen legten sich in dem Bestreben, die Quelle der indischen Musik zu erreichen, fast in die Horizontale, ... und wieder umarmte die dem Lautsprecher am nächsten wachsende Pflanze beinahe den Apparat." Dergleichen geschah sonst nur bei Musik von Haydn, Beethoven, Brahms und Schubert; aber auch bei Jazz urteilten die Kürbisse sehr positiv, während sie Rockmusik eindeutig ablehnten ... Ich kann die Quelle, aus der JEB zitiert ("Das geheime Leben der Pflanzen" von P.Tompkins und Chr. Bird) nicht seriöser finden als "Nada Brahma", aber es ist wenigstens ein Anflug von Humor darin wahrzunehmen; das betreffende Kapitel heißt "Pflanzen als 'Musikkritiker' und Blitzableiter" und verschweigt auch adäquate Zeitungsschlagzeilen nicht wie: "Mutter strickt Ohrenschützer für unsere Petunien".

Schweigen wir von Kürbissen und Petunien. Schweigen wir aber auch von Musik im Zusammenhang mit "Nada Brahma". Wenn es um Entspannung und psychische Harmonie geht, sollten wir einen Yoga-Kurs besuchen oder uns mit Alexander-Technik befassen.

Wenn es aber um Weltanschauung geht, sollten wir uns persönlich bei den großen Religionen kundig machen oder bei einem vertrauenswürdigen Philosophen in die Lehre gehen. Z.B. bei Peter Sloterdijk, der sich in seinem Büchlein mit dem etwas abschreckenden Titel "Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung" (edition suhrkamp NF 375) von Seite 85 an exemplarisch mit "Nada Brahma" beschäftigt. Ich zitiere: "Nur weil Harmonie die Ausnahme ist, hat sie das attraktive Leuchten der Bedeutsamkeit um sich. Wäre sie die Regel, so müsste man sie brechen, um die Klanghölle durch wunderbare Dissonanzen zu beleben. Nur als Potential berührt uns Musik, nicht als positive Einrichtung; nur als Klärung der Wildnis interessiert uns Tonalität, nicht als Tausendjähriges Reich der Grundtöne. Nur als Versöhnung des Leidens bewegen uns Akkorde, nicht als Konsonanzdiktatur. Die Welt ist nicht Klang, sondern Raum seiner Möglichkeit, sie ist keine Symphonie, sondern ein lärmender Alptraum, der Grund hat, sich selbst daran zu erinnern, dass aus dem Übermaß des Lärms die Vision tönender Ordnungen aufsteigen kann." (Sloterdijk a.a.O. Seite 114)

Insgesamt eine kluge und noble Kritik, so nobel, dass Einzelsätze daraus, sinnverfälschend herausgelöst, wiederum als Werbematerial für "Nada Brahma" herhalten durften ("Dies ist ein Buch der Antworten", "... ein ontologischer Sound!").
Ich habe die Hoffnung, keinen in diesem Sinne werbetechnisch brauchbaren Halb-Satz geschrieben zu haben.

Jan Reichow © 1989


Veröffentlicht
in der Zeitschrift
Folk-Michel
Mai/Juni 3/89

Zitierte Literatur

  • Joachim-Ernst Berendt: Nada Brahma - Die Welt ist Klang Insel Verlag Frankfurt am Main 1983 Taschenbuch im Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 1985
  • Als 4teiliges CD Hörwerk Die Welt ist Klang - Nada Brahma (Originalaufnahmen des Südwestfunks Baden-Baden) bei der Network Medien-Cooperative im Zweitausendeins Versand Frankfurt am Main 1988
  • Peter Sloterdijk: Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung Suhrkamp Frankfurt am Main 1987
  • Radio-Sendung mit ähnlicher Thematik: "Die Welt ist Klang??" von J.R. in WDR 3 am 29. Mai 1989, 21.00 bis 22.30 Uhr
s. Im Netz ... Jan Reichow ... > Texte ... > "Die Welt ist Klang??", Sendung vom 29.Mai 1989

Prof. h.c. Joachim-Ernst Berendt [...] Baden-Baden

20. Juni 1989

Lieber Jan Reichow -

danke für Ihre Kritik, die mir erst jetzt zur Kenntnis kommt - nach Anrufen und Zuschriften aus dem WDR-Sendebereich. Sie lag verborgen unter Dutzenden lobender Kritiken, die ich aufgehört hatte zu lesen.

Das Denken, dem sich Ihre Kritik verdankt, kenne ich wie mein eigenes - ein halbes Leben lang habe ich mich darin bewegt. Deshalb hat es mit Erfahrung - nicht mit intellektuellem Kalkül - zu tun, wenn ich weiß, daß es flach, eindimensional, offensichtlich (in den 60er Jahren hätte man gesagt "undialektisch") ist - ein Denken, in dem sich die Tiefe der Dinge entzieht und das sich, wo sich die Tiefe auftut, daraufhin hinausredet, es sei ja doch alles "nur" metaphorisch, symbolisch, esoterisch, analog etc. Ich gehe oft in "Nada Brahma" und im "3.Ohr" darauf ein, habe in die Taschenbuchausgabe vom "3.Ohr" noch zusätzlich ein ganzes Kapitel darüber aufgenommen - in der Hoffnung, auf diese Weise könnte es sogar ein Jan Reichow merken. Es stimmt, ich sage nichts darüber in den Rundfunksendungen, aber als Rundfunkmann wissen Sie selbst: Sendungen sind dazu da, die Dinge zu tun und nicht die Methode zu begründen.

Wissen Sie, was mich am meisten gewundert hat (abgesehen von den "Schlägen unter die Gürtellinie")?: Ihr Versagen gegenüber der Realität der Hörbarkeit des unhörbaren Tones und Klanges. Irgendein großer Mann hat mal geschrieben: Wenn heute alle Spuren der Matthäus-Passion beseitigt würden - keine Platten, keine einzige Partiturseite mehr - sie "tönte trotzdem in Ewigkeit fort".

Lieber Jan Reichow, so flach und effektvoll, wie Sie das machen, läßt sich eine solche Frage, an der sich Jahrhunderte wund gedacht haben - schon die Pythagoräer und die großen Musikphilosophen der Sufis! - nicht vom Tisch wischen. Knallen Sie ruhig irgendjemandem Ihre Platten um die Ohren. Nach einer Weile werden Sie merken, daß die Platten, auf die es ankommt, dennoch in Ihnen weiterklingen - gewiß auf subtilere Weise, aber sie klingen!

Als Volksmusik-Fachmann müßten Sie doch wissen, was Sufis, Zen, indianische (und andere) Schamanen über die Hörbarkeit des Unhörbaren Klanges herausgefunden haben. Sogar noch bei Adorno gibt es, zwar in pervertierter Form, eine Ahnung davon.

Gewiß bin ich von der Realität des "Unhörbaren Klanges" auch durch die Arbeit mit meinen "Urtönen" überzeugt. Es sind mittlerweile nicht nur Zehntausende von Einzelpersonen, sondern Hunderte von Therapeuten, Psychologen etc. in der ganzen Welt (auch Institute und Schulen, Esalen in Kalifornien, das bekannte Institute for Music and Sound in Boulder/Col. etc.), die damit arbeiten und die erstaunlichste Erfolge berichten - Erfolge, die sich jeder rationalen Erklärung entziehen würden, wenn nicht bereits der unhörbare Ton eine Wirkung hätte, die durch die Realisierung lediglich vielfach verstärkt wird. Nach all dem, was inzwischen darüber vorliegt (siehe auch das Urtöne-Kapitel in meinem neuen Buch "Ich höre - also bin ich", das zur Buchmesse erscheint - hübscher Anlaß für Sie, noch so eine Kritik "nachzuschieben"!), kann man es sich ja gar nicht mehr leisten, von Suggestion, Täuschung und all den einschlägigen Begriffen zu reden, mit denen sich das etablierte Denken aus der Affäre zu ziehen liebt.

Wie ich Sie wahrnehme, Jan Reichow (ich kenne und mag Ihre Sendungen), so wären Sie überhaupt nicht in der Musik, wenn nicht Klang und Ton von Anfang an in Ihnen tönten und sie buchstäblich in die Produktion von Musik "hineingetönt" hätten. Es spielt keine Rolle, ob Ihr "mind" sich mit flachen und oberflächlichen Gedanken darüber lustig macht, denn dann beschädigen Sie eben jene Basis, die Sie trägt.

Hübsch und nur mit einem Lächeln zu konstatieren, daß Sie ein paarmal genau die Fehler machen, die Sie meinen, mir vorwerfen zu dürfen. Wenn Sie z.B. auf die weitere Bedeutung des Wortes "vernehmen" abheben, tun Sie exact das, was Sie bei mir beanstanden: Sie "vernehmen" nur  e i  n e  Bedeutung. Bei der Untersuchung der "Hörworte" im "3. Ohr" nahm ich  a l l e  Bedeutungen; gerade deshalb meinte ich, bei den Rundfunksendungen vereinfachen zu dürfen. Ich bestehe darauf, daß zwischen dem Wort "Vernunft" und dem auditiven "Vernehmen" ein Zusammenhang besteht. Das macht nicht nur die linguistische, sondern auch die phylogenetische Überlegung (s. Tomatis) deutlich. Ähnlich ist es mit dem "Aufhören". Bemerken Sie denn nicht, daß die weitere Bedeutung dieses Wortes den von mir angesprochenen Sachverhalt nicht etwa abschwächt, sondern im Gegenteil noch relevanter macht? Aber haben Sie keine Angst, ich weiß, daß es sich nicht lohnt, Punkt für Punkt anzuhaken.

Denn was sich doch in den Vordergrund drängt, sind nicht die sachlichen Punkte Ihrer Kritik, sondern (so haben es auch die Leute empfunden, die mich darauf aufmerksam machten) der Ton. Auf der Kopie, die ich von "2001" erhielt, stand rechts oben: "Voilà - ein Kollege der neidisch ist." Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat, aber so kommentierten auch andere: "Kennen Sie diesen Mann" - "Haben Sie eine persönliche Feindschaft mit ihm?". Ich würde denken, so ist halt Ihr Ton, aber ich kenne, wie gesagt, Ihre Sendungen; und dann heben Sie ja auch auf Peter Sloterdijk ab (mit dem ich, als er sein Buch schrieb - und schon lange vorher - in enger Verbindung stand). Sie loben seine "noble Kritik". Wenn Sloterdijks Kritik "nobel" ist, wie muß man dann wohl Ihre nennen?

Wenn Sie wirklich gesagt haben (ich mag's kaum glauben), ich hätte vielleicht ein 3. Ohr, aber gewiß kein 1. und 2., dann haben nicht bloß Sie, im Gegenteil, dann haben wir beide die Lacher auf unserer Seite. Und selbst der Dümmste merkt den polemischen, unsachlichen Unterton. Ihre Wut, Jan Reichow, ist Ihre eigene. Sie hat mit mir nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Wie ungerecht Sie sind, wird alle paar Takte deutlich - etwa dort, wo Sie über meine Ausführungen zu Zen schreiben. Denn genau das tue ich doch: Ich weise auf die Autoren, die auch Sie nennen, hin. Wo steht geschrieben, daß jemand deshalb, weil andere Leute vor ihm über ein Phänomen geschrieben haben, dies nicht mehr tun darf? Auch tu ich's ja anders - und dennoch sag ich (z.B. im Vorwort von Nada Brahma), daß ich nichts Neues schreibe, sondern nur wieder neu auf Dinge aufmerksam machen möchte, die schon sehr lange bekannt waren, aber vom rationalen Denken verdrängt wurden.

Im übrigen konnte sich weder Suzuki noch Alan Watts noch irgendein anderer es sich leisten, Rundfunksendungen zu machen, in denen die Hörer gebeten werden, mit ihnen zu meditieren. Keine Rundfunkstation wäre damals darauf eingegangen. Selbst noch die 3 Minuten bei Nada Brahma wurden leidenschaftlich in der SWF-Programm-Sitzung diskutiert. ("Die Leute denken, der Sender ist ausgefallen..." - "Sie werden auf ein anderes Programm gehen" etc.). Aber zwei Jahre später durfte die Meditation schon 23 Minuten lang sein.

Ich frage mich, wie Sie meine Arbeit hören und lesen, wenn Sie nicht einmal die zentrale Bedeutung, die Zen darin spielt, erkennen können. Ich habe seit dem Anfang der 60er-Jahre Sesshins und andere Zen-Arbeit getan, erst in Japan, später, als es in Deutschland möglich wurde, hier. Dadurch bin ich zu meinem heutigen Denken gekommen. Deshalb habe ich mich zuerst von den Berliner Jazz-Tagen, dann im wachsenden Maße vom Jazz gelöst.

Noch ungerechter Ihre "attacca" auf meine Präsentationsweise. Als die Reihe beim israelischen, holländischen und beim Public Radio "coast to coast" in den USA lief, sprachen andere Sprecher - und das Echo war genauso stark (kaum irgendwo weniger als tausend Zuschriften pro Ausstrahlung).

Andererseits, ich kann Ihren Ärger über die vielen Ausblendungen verstehen. Aber warum bemerken Sie nicht, daß es im Lauf der Jahre (schon bei der 3. und 4. Sendung, die Sie ja "besprechen") drei- bis fünfmal mehr Musik gibt? Oder warum wollen Sie das nicht bemerken? Inzwischen, bei Ö 1 (ich setzte die Reihe beim Österr. Rundfunk fort, weil ich ja beim SWF wegen meiner Kritik am Intendanten Hilf in der "Zeit" persona non grata geworden bin), haben manche Sendungen bereits mehr Musik als Sprache. Die viele Sprache war ja nur am Anfang nötig, als die damals so völlig neue Thematik zum erstenmal im Radio angeschnitten wurde.

Verzeihen Sie die Länge dieses Briefes. Ich habe einfach nach dem Lesen Ihrer Kritik, angeregt von Anrufen und Zuschriften, meine Gedanken auf Kassette gesprochen und tippen lassen. Wie gesagt, Ihre Kritik betrifft mich deshalb so sehr, weil ich während eines großen Teils meines Lebens ähnlich gedacht habe. Insofern ist dies nicht nur ein Brief an Sie, sondern auch ein Dialog mit mir selbst. Natürlich sollen Sie mir nicht antworten - ich bin ohnehin bis Oktober auf Seminar- und Vortragsreisen, erst in den USA, und dann in der DDR (es sind ja Tausende, die über die Dinge, die Sie aggressiv machen, nicht bloß lesen oder hören wollen, sondern sie in praktischen Übungen konkret erfahren möchten). Diese Erfahrbarkeit meiner Arbeit, die sich ja auf einer viel tieferen Dimension abspielt, als der rein intellektuelle Zugriff, auch die Tatsache, daß ich's, bevor ich begann, es weiterzugeben, selber erfahren habe: das ist, glaube ich, der eigentliche Grund für den Erfolg dieser Arbeiten. Was Sie in Ihrer Kritik schreiben, empfinde ich immer nur (bestenfalls!) als INFO über etwas, aber nie als Erfahrung von etwas. Diese "INFOS" sind so abstrakt und beliebig, daß sie letztlich nichts auslösen werden (abgesehen vielleicht von dem in den Verlagen immer wieder beobachteten "Positiv-Effekt" derartiger Verrisse).

Mit freundlichen Grüßen - und vielleicht haben Sie bemerkt: das "Danke" am Anfang war nicht bloß ironisch gemeint...

Joachim-Ernst Berendt

P.S. Haben Sie keine Angst wegen der Zitatfähigkeit Ihrer Sätze. Können Sie sich wirklich nicht denken, daß ich einen Riesenstoß von lobenden, ja enthusiastischen Kritiken, nun auch aus den USA, Japan, etc. habe, auch von Musik- und anderen Fachleuten, die auch Ihnen bekannt sein dürften. Warum sollte ich Jan Reichow zitieren wollen?

Sloterdijks lange und intensive Auseinandersetzung mit Nada Brahma verstehen Sie auf die, Ihrem Denken eigentümliche, eindimensionale Weise. Wenn der Satz, den Sie zitieren, wirklich alles ist, was aus S.'s N.B.-Denken abzulesen ist, wäre es gewiß nicht zu erklären, daß er ein halbes Buch darüber geschrieben hat (und schon - in immer neuen Versuchen und Ansätzen - jahrelang vorher darum kreiste - auch in seinen Vorträgen; meine Aufnahme stammt aus einem Karlsruher Vortrag). Wenn Sie bei der Kopernikanischen Mobilmachung noch nicht gemerkt haben, daß es zwischen S. und mir, über alle Differenzen hinweg, etwas Tief-Gemeinsames gibt, können sogar Sie es jetzt beim "Euro-Taoismus" merken. In Analogie dazu leistet Nada Brahma "Euro-Brahmanentum" - was ja für S. alles in einen einzigen großen Zusammenhang gehört - einen Zusammenhang, den er fordert in der heutigen Situation, in der das europäische Denken sich nur noch "selbst in den Schwanz beißt" (kleines harmloses Beispiel dazu: Ihre Kritik). Weil es dieses Gemeinsame gibt (und wir beide wissen das - nur deshalb konnte sich S. ja so tief, so sorgfältig, so genau in Nada Brahma hineinfühlen), deshalb habe ich ihn zitiert, - und nicht um, wie Sie gleich wieder unterstellen, mir etwas anzueignen, was mir nicht zusteht.
Erkennen Sie nicht, daß es Sie viel mehr als mich charakterisiert, wenn Sie überall Fälschung, Manipulation etc. argwöhnen?
Was projizieren Sie da? (Und warum bin ich ein so gutes Projektionsziel? Und was projiziere ich, indem ich Ihnen nun auf so ungewöhnlich Weise antworte?)

vgl. Im Netz ... Jan Reichow ... > Texte ... > " Die Welt ist Klang ?? ", Sendung vom 29.Mai 1989


Herrn
Prof. h.c. J.-E. Berendt
[...] Baden-Baden

26.07.1989

Sehr geehrter Herr Professor Berendt,

besten Dank für Ihren ausführlichen Brief, der - wie Sie ganz richtig andeuten - meiner Kritik eine Aufmerksamkeit widmet, die ihr nicht zukommt.

Selbstverständlich hatte ich keine "noble" Kritik schreiben wollen; dieses Epitheton wollte schon im Fall Sloterdijk eine leichte Distanzierung meinerseits zu erkennen geben.

Nach meiner Auffassung von Journalismus darf (soll) der Ton, mit dem Argumente vorgetragen werden, um der Lebendigkeit willen durchaus persönliches Engagement verraten, - auf die Gefahr hin, daß der Ton mehr Wirkung zeitigt als die Argumentation.

Zur Sicherheit fasse ich den sachlichen Kern meiner Ausführungen folgendermaßen zusammen: ich halte Ihren Umgang mit Quellen, Sekundärliteratur und geistesgeschichtlichen Materialien aller Art für fahrlässig oder schlicht unkritisch; in diesem vordergründigen Bereich müßten Sorgfalt und Sachkenntnis die wesentliche Rolle spielen, gleichgültig in welche Tiefen Sie sonst zu loten pflegen. Zugegeben, mir fehlt auch das Vertrauen in Ihre Tiefe (es hätte sich nur an der mir allein zugänglichen Oberfläche bilden können).

Andererseits überrascht es mich nicht, daß die Kritik eines Ungläubigen immer nur als Zeugnis seines Unglaubens verstanden wird; so bleiben die Gläubigen ein für allemal vor Diskussion und Selbstzweifel geschützt.

Seien Sie ohne Sorge: ich betrachte es nicht als meine Lebensaufgabe, Rezensionen in Glaubensfragen zu schreiben. Eins lassen Sie mich dennoch hinzufügen: ich bin mein Leben lang so engstirnig gewesen, meine Hör- und Wahrnehmungsfähigkeit an großen musikalischen Werken der Vergangenheit und an großen Interpretationen der Gegenwart zu orientieren, weniger an Theorien der Pythagoreer, Platos, Keplers, Kaysers etc.

Wenn ich einen Autor so apodiktisch wie Sie über das Hören reden höre, achte ich daher sehr genau auf Symptome musikalischer Kompetenz. Wenn ich die vermisse, mag ich von ihm auch keine Belehrung über das Unhörbare annehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Jan Reichow

P.S. Ich werde übrigens den Verdacht nicht los, daß Sie mich damals mit der Zusendung der verstümmelten Sloterdijk-Zitate ganz schön hinter's Licht führen wollten. Sie selbst kannten doch wohl den ungekürzten Text, aus dem sich so wundersame Stichworte herauslösen ließen...




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