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SWR2 "Musik aktuell"
Wie soll man einem Werk gerecht werden, das 50 Jahre europäischer Musikgeschichte auf 1200 Seiten behandelt, in relativ kleiner Schrift? Wir erinnern uns, wie häufig wir bei Haydn, Mozart oder gar Beethoven gesagt haben: "Das ist ja schon reinste Romantik!" Und auch die Formel WE-BE-SCHU, die den Todesjahren Webers, Beethovens und Schuberts gilt, nämlich 1826 - 27 - 28, machte uns sicher, dass die Epochen völlig ineinander verschränkt sind. Sind sie ja auch, allerdings zuweilen anders als wir vermuten. Schon das oft zitierte Beethoven-Urteil über den Freischütz lässt fälschlich vermuten, da gebe es auch eine Affinität von Seiten des Jüngeren. Weber hatte schon um 1810 geäußert, er hasse alles, was den Stempel der Nachahmung trage und im übrigen sei er zu sehr in seinen Ansichten von Beethoven verschieden, als dass er je mit ihm hätte zusammen treffen können. (S.365) Wörtlich: "Die feurige, ja beinahe unglaubliche Erfindungsgabe, die ihn beseelt, ist von einer solchen Verwirrung in Anordnung seiner Ideen begleitet, daß nur seine früheren Compositionen mich ansprechen, die letzteren hingegen mir nur ein verworrenes Chaos, ein unverständliches Ringen nach Neuheit sind, aus denen einzelne himmlische Genieblitze hervorleuchten, wie groß er sein könnte, wenn er seine üppige Phantasie zügeln wollte."Tatsächlich ist bei Weber eher eine bruchlose Weiterführung der vorklassischen, Mannheimer Musikauffassung zu konstatieren, vorbei am späten Mozart und an Beethoven. Hochinteressant wiederum, dass ausgerechnet dem genialen Melodiker Carl Maria von Weber viel später "Zerrissenheit" zum Vorwurf gemacht wird und zwar nicht nur von fachfremder Seite wie Grillparzer oder Hegel, sondern auch von Richard Wagner, eine Zerrissenheit, die aus der Stückelung dramatisch prägnanter, aber musikalisch ungenügend verbundener Partikel resultiert. (S.908) Des weiteren gibt Mendelssohns "Erste Walpurgisnacht" ein großes Thema ab in diesem Buch, dann Franz Liszts "Bergsymphonie", überhaupt die nachhaltige dialektische Auseinandersetzung zwischen programmatischen Ideen und einer angeblich rein musikalisch konzipierten Sonatenform. Und natürlich immer wieder Wagner, - die Wagner-Kapitel gehen hauptsächlich auf Carl Dahlhaus zurück, der ja schon 1989 verstorben ist; es wurden also frühere Arbeiten von ihm eingefügt. Die brillanten Ausführungen zum Thema "Wagners Berlioz-Kritik und die Ästhetik des Häßlichen" sind wortwörtlich seinem Buch über "Klassische und romantische Musikästhetik" aus dem Jahre 1988 entnommen. Dieses Werk bietet eine unglaubliche Fundgrube an Details, es ist sogar ein Genuss, die 170 Seiten des Anmerkungsteils gesondert durchzustöbern. Oder, in der Mitte des Bandes die kostbare Serie der Bühnenbilder und Illustrationen von Schinkel bis Delacroix zu studieren. Es ist ein Steinbruch des Wissens, ein Labyrinth der Einzelheiten, aber nicht ohne einen goldenen Ariadnefaden: man muss nur das Inhaltsverzeichnis überfliegen oder den 1000 Überschriften nachgehen, die Seite für Seite als Kopfzeile gegeben sind, schließlich sehr gründlich das letzte Kapitel lesen: über das Motivgeflecht der Symphonie und den romantischen "Wechsel der Töne" (S.1033). Man bekommt Lust, sich alsbald praktisch an einzelne historische Meilensteine der romantischen Musik heranzuwagen, ohne sich den Weg durch Wagner verstellen zu lassen. Berlioz zum Beispiel. "Roméo et Juliette", ungekürzt. Nur einen Namen habe ich in diesem Riesenpanorama der Romantik von 1800 bis 1850 vermisst, und er hätte die Waagschale gewiss wieder zugunsten Wiens gesenkt: Schubert. Nur 8mal genannt auf 1200 Seiten, - eigentlich unbegreiflich.Aber vielleicht würde er in einem dritten Band, der von 1850 bis - sagen wir -1920 reichen dürfte, dank Bruckner und Mahler zu einer Schlüsselfigur des 19. Jahrhunderts avancieren.
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