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SWR 2 Beitrag in: Musik aktuell
Selten hat mich ein Buch so ratlos gemacht.
Mein Vertrauen in ein neues Buch mindert sich mit Druckfehlern und anderen Schludrigkeiten, mag nun der Verlag oder der Autor dafür verantwortlich sein. Aber hier könnte es fast schon Methode haben, dass man den Name Lachenmann erst beim dritten Anlauf korrekt geschrieben liest, - als stünde der sowieso nicht für eine gültige Sache. (S.27 bzw. 29)
Braun konzediert das beiläufig, indem er vom "gedanklichen Modell der Untertonreihe" spricht, "die in der Natur kaum vorkommt, aber als Umkehrung der Obertonreihe doch sinnfällig ist (...)" Man erfährt nicht, ab wann denn eine gedankliche Konstruktion Geltung beanspruchen darf und wo der Spaß aufhört, - die tabellarischen Übersichten in seinem Buch (nach Vogel, Kayser oder Dieter Kolk) sind jedenfalls, von der Sinnfälligkeit her, schlicht ungenießbar -, aber immer wieder kann man lesen, dass bei Lachenmann alles im Argen liegt; im übrigen habe die Diskussion des musikalischen Materials im 20. Jahrhundert ganz sicher mit dem grassierenden Materialismus zu tun (105).
"Ist solche Förderung nicht auch ein Zeichen von gesellschaftlicher Freiheit, für manche von zuviel Freiheit, wenn sie bedenken, wieviel Hungernde man für das Geld sättigen, wie viele Kranke man heilen, wie viel bedrohtes Leben man retten könnte?" (S.104)Ganz hanebüchen wird es, wenn Braun, der zwei der abgedruckten Vorträge bei sogenannten Sokratischen Treffen gehalten hat, den Geist des Sokrates selbst in einfältigster Weise für sein Anliegen sprechen lässt. Er verzichtet zwar darauf, [Zitat:] "das Ganze in die Form von einem platonischen Dialog zu bringen" (99), aber er weiß, wo die Gegner des Sokrates heute säßen: jener antike Anwalt einer heilen Welt (!) müsste heute - ich zitiere - "mit harten Angriffen seitens der Gruppe der Musik-Anarchisten (...) rechnen, deren Mitglieder ausgezeichnete rhetorische wenn nicht sophistische Fähigkeiten besitzen." (102) Zitatende. In der Folge muss sich Sokrates noch einige dumme Fragen gefallen lassen, betreffend organisches Leben, Urschlamm, Blitzeinschlag, bis er endlich sein berühmtes Wort sprechen darf, ich weiß, dass ich nichts weiß, - welches er so bekanntlich nie gesagt hat, auch bei Platon nicht. Aber so groß ist doch der Unterschied nicht, - das Daimonion des Sokrates, über das kluge philosophische Abhandlungen geschrieben worden sind, identifiziert Braun der Einfachheit halber mit dem "heiligen Geist" (105). Wie gesagt, ich spreche nicht über das musikalische Werk Peter Michael Brauns, sondern über dieses Buch, das eine Gegenstimme sein will. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Komponist, der sein Metier versteht, auch ein Meister des Wortes und des philosophischen Gedankens sein muss. Aber sicher darf man daran festhalten, dass diejenigen, die verbal gut zurechtkommen, deshalb noch längst keine bloßen Rhetoriker und Sophisten sind... An dieser Stelle vielleicht ein letztes Wort zur Harmonielehre der Natur:Was auch immer wir Menschen aus ihr herauslesen oder in sie hineinlegen: es ist immer schon Kultur, nie - "nur" Natur, schon gar nicht innerhalb der schönen Kunstwelt der Musik! Natürlich nicht! | ||
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