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SWR 2 Beitrag in Musik aktuell
Um es gleich zu sagen: Dieses Buch kann man vorbehaltlos jedem empfehlen, der sich für Musik interessiert. Ein ideales Geschenk, mit dem man niemanden, der eine gute Tageszeitung lesen kann, überfordert, aber auch niemanden unterfordert, - nicht einmal einen Musikpädagogen der alten Schule.
Z.B. mag man sich Mühe geben, die Intervalle einer Tonleiter relativ zum Grundton nach Konsonanz oder Dissonanz zu beurteilen: Womöglich hört man aber von A bis Z nur Dissonanzen, selbst bei der doch offensichlich konsonant gemeinten Quinte, einfach weil da eine nicht unbedingt akzeptable Vorentscheidung getroffen wurde betreffend Temperierung.
Und Mozart war es übrigens nicht, der das immer mal wieder gern zitierte "Musikalische Würfelspiel" entwickelt hat (S.216), man hat es ihm "sozusagen in die Handschuhe geschoben"; das wurde jedoch schon 1929 ans Licht gebracht und wäre heute ganz einfach nachzulesen im Lexikon MGG, Stichwort Würfelmusik. Noch eins: wenn zweimal in Drössers Buch vom Dominantseptakkord die Rede ist, den der kleine Mozart nicht aufgelöst habe, um seinen kranken Vater zu necken, - nicht alles, was nach E-Musik klingt, muss Mozart sein. Manchmal ist es eben Bach, - in diesem Fall war's der kleine Philipp Emanuel, während der gute alte Sebastian, der bis dahin ruhig geschlafen hatte, aufschrak, zum Cembalo eilte, denselben Akkord anschlug und korrekt auflöste. (bezeugt durch Cramer, s. dtv Bach-Dokumente S.28). A propos: diese unseligerweise immer wieder in Frage gestellte, aber selten genau differenzierte Grenze zwischen E-Musik und U-Musik! Ich zitiere: "die Trennung zwischen Unterhaltungsmusik und ernster Musik, sie existiert in Deutschland tatsächlich noch in vielen Köpfen", sagt Drösser. Und weiter: "Die Musikhochschulen werden noch immer von den Klassikern dominiert." (S.10) Jammerschade, nicht wahr? Sagen wir einmal so: wer sich mit Klassik schwerer tut, findet in diesem Buch emotionalen Rückhalt, sollte aber deshalb noch lange nicht die Klassik kleinreden, sondern ganz beherzt die allenthalben zweifellos vorhandenen Verständnisgrenzen überschreiten. Und genau diese sind es, die mich in dem kenntnisreichen Buch stören:Da ist trendgerecht von der "Suche nach dem universellen Chill" die Rede, von der "Biologie der Erwartung", vom "grammatischen Gehirn" vom "Soundtrack des Lebens", vom "Mozart-Effekt", von den entscheidenden 10000 Stunden des Übens, ohne die in der Musik nichts Großes läuft, zahllose glänzend erläuterte und belegte Fakten der musikalischen Wahrnehmung. Ja, am Ende glaubt man es wirklich, dass wir alle musikalisch sind, und man freut sich. Aber wenn jemand wissen wollte, was die Schönheit eines Klavierstücks von Robert Schumann ausmacht, so wäre er arm dran. Dergleichen liegt völlig außerhalb des Horizontes. Wer als Chill-Faktor bei Bach nur den "Barrabam"-Schrei der Matthäus-Passion kennt, steht wirklich hinter einer fast schalldichten Grenze. In der Musik läuft man leider Gefahr, die Notwendigkeiten der physikalischen Übermittlung und die Kenntnis der melodisch-harmonischen Grammatik für entscheidend zu halten, zumal man sie ja auch wirklich erlernen sollte - was übrigens auch für fast jedermann jederzeit möglich ist. Jedoch: all dies ist nur sehr, sehr wichtig, aber längst noch nicht das Wesentliche.
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