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Musikpassagen
WDR3 Do 14. Dezember 2006 15:05 - 17:00
Am Mikrofon begrüßt Sie J.R., meine Damen und Herren, ich habe keine besonderen Beziehungen zu London, leider! Immer wenn ich mich zu einer kleinen Reise aus Neugier und Neigung aufschwinge, dann geht es nach Frankreich oder Italien oder vielleicht mal nach Irland. Oder gleich nach Indien, aber die indische Musik, an der mir besonders liegt, kann man auch sehr gut bei uns studieren. Ich denke an Konzerte, Hunderte von CDs, - und an WDR 3. Das neueste, wunderbare Beispiel kommt am Ende der heutigen Sendung, es stammt vom 26. November. Hier vorweg eine Kostprobe. 1) Purbayan Chatterjee: Raga Sohani Alap 2:00Aber Sie wissen, im Zeitalter der allgegenwärtigen Medien muss man nicht mehr alles selbst erleben. Das Selbst-Erlebte kommt einem am Ende auch nur noch vor wie aus zweiter Hand - fast wie im Fernsehen. Es könnte viel wichtiger geworden sein, auf den Dauerkonsum der Medien zu verzichten und gründlicher zu prüfen, was eigentlich das Leben lebenswert macht. Für uns selbst oder auch, wenn wir neugierig sind, für Leute, die wir kennenlernen. Ich hatte immer schon den Verdacht, dass es nicht so wichtig ist, eine Weltreise zu machen. Je größer die Reise, desto weniger nimmt man wahr, - am Ende vielleicht nur die Sehenswürdigkeiten, die ohnehin schon in den Prospekten abgebildet waren. Besteht aber die Welt aus Sehenswürdigkeiten oder eher aus Menschen und Kulturen? Die junge Wissenschaftlerin Jenny Fuhr hat nie eine Weltreise gemacht, sie hat aber in verschiedenen Regionen Afrikas intensive Forschungsarbeit geleistet, und dann konzentrierte sie sich für einige Zeit ganz auf London, wo sie ihr ethnologisches Studium absolvierte.Sie hat dort drei Künstler aus drei Kulturen kennengelernt, und jeder von ihnen repräsentiert eine ganze Welt musikalischer Erfahrungen, die aber in dieser Form wohl nur in London möglich waren. Londoner Stimmen also in den heutigen Musikpassagen - aus Irland, Indien und aus der Türkei. 2) LONDON TOWN (Track 4) mit Bellowhead CD BURLESQUE(unmittelbar anschließend:) 3) Kardes Türküler Tr. 1 Silemano 4:28Das Ensemble Kardesh Türküler aus Istanbul, - der Name bedeutet "Bruder/Schwester-Lieder", man könnte auch sagen "Lieder der Brüderlichkeit", und dahinter steckt der Gedanke von Multikulturalismus; er gilt vor allem den Völkern, die von Istanbul aus gesehen, in enger Nachbarschaft miteinander leben, und ist - wie man hört - nicht identisch mit dem einer wohlfeilen Multikulti-Pop-Mixtur. Wieder anders steht es mit einem schwierigen Wort wie "Ethnologie", das lebendige menschliche Gemeinschaften in klinische Objekte zu klassifizieren scheint. In Wahrheit ist Ethnologie, wie der Wissenschaftler Karl-Heinz Kohl im Titel einer sehr lesenswerten Einführung formuliert: ... ist "Ethnologie - die Wissenschaft vom kulturell Fremden".
Für die heutige Sendung hat die Musikethnologin Jenny Fuhr drei Portraits zusammengestellt, die sie nach ausführlichen Interviews mit den Londoner Musikern Paddy Bush, Cahit Baylav und Narendra Kotiyan ausgearbeitet hat. Wir haben kürzlich ein Gespräch über diese Arbeit geführt. JRMODERATION Hier folgt also das Portrait des aus Irland stammenden Musikers Paddy Bush. Autorin und Übersetzerin ist Jenny Fuhr, ich bin nur die Synchronstimme. 4) Portrait Paddy Bush (Jenny Fuhr) 24:25 Paddy Musik 1 Paddy O-Ton 1 über Musik Hallo, ich heiße Paddy Bush. Ich bin 53 Jahre alt und nun schon seit etwa 30 Jahren im Musikgeschäft. Meine Schwester ist die bekannte Sängerin und Liedermacherin Kate Bush. Seit 1978 arbeite ich mit ihr zusammen und habe auf all ihren Alben mitgespielt. Paddy O-Ton 2 1963 fuhren wir mit meinen Eltern auf einem Kreuzfahrtschiff nach Australien. Das war dasselbe Jahr, in dem Rolf Harris seinen Song "Sun Arise" herausbrachte, der einen enormen Einfluss auf mich hatte. Ich glaube, es war die erste Platte, die ich mir kaufte. "Sun Arise" ist eigentlich ein Lied der australischen Aboriginees. Rolf Harris spielt Didgeridoo und hat den Text selbst ins Englische übersetzt. Paddy Musik 2Paddy O-Ton 3 Ich wurde davon vollständig gepackt, und es wurde so eine Art Filmmusik für diese unglaublich wichtige Reise nach Australien. Denn auf dem Weg dorthin stoppten wir an Orten wie Südafrika, wo ich Zulumusik hörte. Wir kamen nach Fiji und Tahiti und nach Rarotonga. Ich sah fantastische Trommelmusik, unglaubliche Tänze und traditionelle Musik aus der ganzen Welt. Und als ich nach England zurückkam, war das genau zu der Zeit, als das Englische Folk Music Revival begann. Es gab Musiker wie A.L. Lloyd und Ewan MacColl. Und wirklich, ich glaube, das war der Beginn meiner großen Liebe zur Musik und zu den Musikinstrumenten. Paddy Musik 3Paddy O-Ton 4 Mit 16 war ich sehr interessiert an traditioneller Volksmusik und eines Tages nach der Schule lief ich an dem Raum vorbei, wo die Präfekten wohnten und hörte die unglaublichste Fiddle-Musik meines Lebens. Ich ging hinein und es war ein Typ namens Kevin Burke, einer der bekanntesten Fiddle-Spieler in Irland. Seine Familie kommt aus der Sligo Region und der Sligo Fiddle- Stil ist extrem flüssig, hypnotisch und komplex. […] Paddy Musik 4 Paddy Musik 5Paddy O-Ton 5 Das erste Instrument, das ich lernte, war ein kleines Akkordeon, dann Concertina. Ich spielte zu englischen traditionellen Tänzen und auch in Folk Music Clubs. Während der Schulferien bekam ich einen Job im Geschäft der English Folk Dance and Song Society.Paddy O-Ton 6 Ich endete damit, alle möglichen Arten von ungewöhnlichen Instrumenten zu bauen. Irgendwie war ich immer fasziniert von ungewöhnlichen Musikinstrumenten. […]Paddy, O-Ton 7 Wir trafen so viele interessante Menschen, unter anderem die Musikethnologin Jean Jenkins, die in der ganzen Welt herumgereist war und sehr obskure und spezielle Musik aufgenommen hatte.Paddy, O-Ton 8 Und eines Tages spielte sie mir ein Stück aus Madagaskar vor, das mir sehr nahe ging. Ich empfand, dass es das am meisten zeitgenössische und dennoch Traditionellste war, das ich je gehört hatte. Es waren zwei Brüder, die ein Stück auf einem Instrument spielten, das heute eher selten ist, die lokanga voatavo - eine einfache Art Gitarre mit nur drei oder vier Bünden und einer Kalebasse als Resonanzkörper […] Ich hörte diese Musik und war davon völlig absorbiert. [lacht] Paddy Musik 6Paddy O-Ton 9
Paddy Musik 7
Paddy Musik 8Paddy, O-Ton 10 über Musik Der Hauptgrund, in London zu leben, war immer unsere Karriere. Über viele Jahre hinweg war hier unser Zentrum, alle unsere Studios waren hier.[…] Aber auch Irland war immer Teil unseres Lebens. Ich habe sehr enge familiäre Beziehungen nach Süd-Irland, und ich selbst verbringe gerne einen großen Teil des Jahres in Irland.Paddy, O-Ton 11 Ja, ich liebe London, aber gleichzeitig hasse ich es auch. Es ist ein wunderbarer Ort, aber es ist so voll geworden, so hektisch, und es ist nicht mehr so sozial wie es einmal war. MODERATION Das war ein Portrait des aus Irland stammenden Musikers Paddy Bush; Jenny Fuhr hat ihn interviewt, das Interview übersetzt und mit der passenden Musik versehen. Ich habe nur die Übersetzung gesprochen.Sie hören die Musikpassagen auf WDR3, später noch mit weiteren Londoner Begegnungen, durch die Sendung führt Jan Reichow. Ich habe zu Anfang dieser Sendung ein Buch erwähnt: Ethnologie - die Wissenschaft vom kulturell Fremden, eine Einführung von Karl-Heinz Kohl. Derselbe Wissenschaftler, Direktor des Frobenius-Institutes in Frankfurt am Main, hat vor Jahren in einem Gespräch mit Bernd Hoffmann ebenfalls von einer Londoner Begegnung erzählt, sie fand allerdings schon vor 150 Jahren statt. Ausschnitt aus Interview mit Prof.Dr. Karl-Heinz Kohl (Bernd Hoffmann, Mainz 1996) "...es gab zum Beispiel eine chinesische Gesandtschaft, die hat im 19. Jahrhundert Großbritannien besucht. Die erste chinesische Delegation von chinesischen Diplomaten, und die beschreiben Europa als eine verkehrte Welt. Wir haben ja bei uns auch die Imagination der nichteuropäischen Welt als einer z. B. matriarchalen Welt bei Johann Jakob Bachofen, der Erfinder des Mutterrechts. Er glaubte überall noch Spuren eines ursprünglichen Matriarchats auffinden zu können. MODERATION Der Ethnologe Karl-Heinz Kohl.Was hier wiederum beeindruckt: dass Oper und Theater umstandslos zur Vergnügungsindustrie gezählt wird. Aber nach kurzem Nachdenken kann man doch zugeben, dass die Kultur insgesamt zu den Vergnügungen des Lebens gehört, relativiert allenfalls durch den sehr richtigen Ausspruch des Münchner Originals Karl Valentin: "Kunst ist schön; macht aber viel Arbeit."Ich erinnere an die enorme Arbeit, die hinter der angenehmen Kunst eines indischen Sitarspielers steckt. 5) Purbayan Chatterjee: Raga Sohani (ab 1:30 + Gat) 2:00Mehr von dem indischen Sitar-Virtuosen Purbayan Chatterjeee gegen Ende dieser Sendung.
Unsere Autorin Jenny Fuhr ist in London auch dem türkischen Musiker Cahit Baylav begegnet. JF MODERATION Über Cahit Baylavs Weg zur Musik und seinen Werdegang als Musiker hören wir Authentisches im folgenden Beitrag, den Jenny Fuhr zusammengestellt und produziert hat; wir haben sie gebeten, den Text ihres türkischen Gesprächspartners selbst zu synchronisieren.Und wenn Sie mittendrin den Schlussteil der Zigeunerweisen von Sarasate hören, - da spielt nicht Cahit Baylav, obwohl er damals riesige Fortschritte auf der Geige gemacht hat, - er liebte einfach diese Aufnahme mit Jascha Heifetz und fand, dass sie in sein Portrait gehört. 6) Portrait Cahit Baylav (Jenny Fuhr) 24:55 Cahit Musik 1 SUZINAK PESREV, Kudsi Erguner Ensemble 4'02''Cahit O-Ton 1 über Musik Mein Name ist Cahit Baylav, Ich lebe in London. […] Ja, ich denke schon, ich kann mich als Musiker bezeichnen. Ich mache schon seit vielen Jahren Musik, auch hier in London. Aber ich bin auch Pädagoge, Lehrer und Studienberater. Früher war ich auch Naturwissenschaftler und politisch engagiert.Cahit O-Ton 2 Bei uns Zu Hause haben wir immer klassische türkische Musik gehört, denn sowohl mein Vater als auch meine Mutter liebten diese Musik, und sie lief ständig im Radio.Cahit O-Ton 3 In den frühen Jahren der Türkischen Republik wurde klassische türkische Musik für viele Jahre aus dem Radio verbannt, denn in der neuen Republik galt klassische westliche Musik als "universale Musik". Klassische türkische Musik repräsentierte die osmanische Vergangenheit, und die neue Republik war gegen alles Osmanische - obwohl Atatürk selbst diese Musik hörte und sich ihre Interpreten auf seine privaten Gesellschaften einlud. Aber im Radio gab es nur Türkü, also türkische Volksmusik, oder klassische westliche Musik.Cahit O-Ton 4 Mein Vater brachte manchmal Musiker nach Hause…er trank sehr viel, und na ja, manchmal bat er eben den lokalen Offizier um Erlaubnis, Soldaten, Musikersoldaten, nach Hause mitzunehmen. Die spielten dann cümbüs und darbuka, und ich hörte zu. Cahit Musik 2 1'26'' Cahit O-Ton 5 Auf dem Gymnasium war ich eigentlich in allen Fächern sehr gut. Aber trotzdem, im zweiten Jahr, bekam ich irgendwie eine schlechte Note in Musik. Ich war traurig und weinte sogar. Und dann, einige Wochen später besuchte ich einen Verwandten. […] Ich sah wie er Geige spielte und fragte ihn, ob er mich unterrichten könnte. (…) Er zeigte mir, wie man die Geige hält und wir fingen mit einem ganz simplen Stück an. Dasselbe Stück benutze ich immer noch wenn ich Kinder unterrichte. Cahit O-Ton 6 Wenn ich in den Ferien zu Hause war, fragte mich mein Vater immer, ob ich in den Club kommen könnte, wo er mit seinen Freunden und Verwandten trinken ging. Ich sollte sie dann mit der Geige unterhalten. Eines Tages, damals war ich schon einige Jahre auf dem Gymnasium und nicht mehr in meiner Heimatstadt Ermenek, bestellte er mich wieder in den Club . Und da saß er mit dem Lehrer, der mir die schlechte Note in Musik gegeben hatte. Er wollte ihn verlegen machen und ihm zeigen, wie ich Geige spielte.Cahit O-Ton 7 Und dann, besonders als ich nach Ankara kam, fing ich an, mich für westliche Musik zu interessieren. Und ich hatte endlich die Möglichkeit, zu Konzerten zu gehen, sowohl zu Konzerten klassischer westlicher als auch türkischer Musik. Mein Musikgeschmack wurde generell einfach breit gefächerter. Aber ich selbst spilete immer noch hauptsächlich klassische türkische Musik. […] An der Uni gab es einige musikalische Aktivitäten, aber fast nur für westliche Musik. Und so gründete ich mit einigen Freunden einen Club für klassische türkische Musik.Cahit O-Ton 8 Diese militärische technische Universität, wo ich meinen Abschluss machte, wurde Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zum Zentrum der linken Studentenbewegung. Und das beeinflusste mich schon sehr, obwohl ich immer noch mehr mit Musik beschäftigt war als mit Politik. Aber ich hatte eine positive Einstellung gegenüber der linken Bewegung, und 1969/70, zu der Zeit als diese Bewegung immer mehr wuchs, ging ich nach England, um einen Masterabschluss zu machen. Dort fand ich sofort politische Freunde, englische sowie türkische, und so kam es, dass ich mich immer stärker politisch engagierte.Cahit O-Ton 9 1977 wurde ich dann zum Vollzeit-Gewerkschaftsaktivisten und obwohl ich es schaffte, nebenher noch Geige zu spielen, waren es meine politischen Aktivitäten, die dominierten. Aber ich hatte meine Geige immer dabei und spielte auch z.B. bei Streikversammlungen, Volksmusik, Revolutionslieder und ähnliches. Cahit Musik 3 1'46''Cahit O-Ton 10 Einige Leute fanden das vielleicht ein wenig exzentrisch - ein Linker, der auch osmanische Musik spielt. Ich sah da gar keine Widersprüche. Ich fand es schade, dass es in der Türkei solch eine Sicht der Dinge gab. Cahit Musik 4 1'29''Cahit O-Ton 11 über Musik Und dann, 1980, gab es den Militärputsch in der Türkei, und wir mussten uns in Istanbul verstecken. Und in dieser Situation war es natürlich unmöglich, Musik zu machen. […] Wir dachten, wir würden bald zurückkehren können, aber wir sahen unser Haus nie wieder. Im Sommer 1982 wurde ich aus der Türkei herausgeschmuggelt und kam nach London.Cahit O-Ton 12 Als ich 1982 mit zwei Freunden hier ankam sagten wir, dass wir Flüchtlinge seien. Damals bekamen wir 100 Pfund als finanzielle Unterstützung vom Staat, um uns die ersten überlebenswichtigen Dinge zu kaufen. Und was machte ich? Ich habe mir ein Fahrrad gekauft - von den ersten 40 Pfund, und für die restlichen 60 kaufte ich mir eine Geige. In dieser Armut - meine Freunde waren etwas verwirrt, aber ich sagte, ich funktioniere einfach nicht ohne Geige [er lacht]. Noch etwa 10 Jahre waren wir politisch sehr aktiv, und gleichzeitig nahm ich das Geigenspiel wieder auf. Cahit Musik 5 1'45''Cahit O-Ton 13 Für vier Jahre ging ich auf das Goldsmith College und machte dort auch einen Abschluss. Dort hatte ich die Möglichkeit, sowohl theoretische als auch praktische Kurse zu belegen, wobei ich mich mehr für die praktische Seite interessierte. Ich hatte viele gute Lehrer, auch Instrumentallehrer. Das war meine einzig offizielle Musikausbildung. Aber ich war auch fasziniert von der Musik anderer Kulturen und hatte ein großes Interesse für Musikethnologie.Cahit O-Ton 14 Die Geige an sich ist sehr vielseitig und taucht in allen Kulturen auf. Vor einigen Jahren waren Akgül, meine Frau, und ich auf einem indischen Konzert, und da spielte eine ältere Frau Geige. Ich war fasziniert von diesem Klang und sagte, oh, das muss ich ausprobieren. Und so fing ich an, Unterricht bei ihr zu nehmen. Leider konnte ich das nicht lange fortsetzen. Cahit Musik 6 1'18'' Man geht zu einem Konzert, sieht etwas, was ganz anders ist als das, was man selber tut - aber es ist trotzdem noch eine Geige, auch wenn sie komplett anders gespielt wird, anders gehalten wird, anders gestimmt ist, die ganze Musik ist anders. Aber irgendwie kann man es trotzdem fühlen. Eine Sache, die ich auf der Geige noch nie ausprobiert habe, ist Rock und Jazz. Ich wünschte, ich könnte Jazzgeige spielen, aber ich habe es noch nie versucht. Cahit O-Ton 15 London ist ein guter Ort, um all diese Dinge zu tun. Natürlich mache ich in erster Linie türkische Musik, und ich habe verschiedenste türkische Musikgruppen. Aber ich spiele auch Balkanmusik, und ich liebe griechische Musik und habe auch eine griechische Musikgruppe. Cahit Musik 7 1'23'' XEKINA MIA PSAROPOULA, Koros, G. Und neben all dem liebe ich natürlich klassische westliche Musik. Ich spiele im Orchester und mache oft auch Kammermusik. Ich liebe das alles und ich glaube, in London findet man leichter als anderswo Menschen mit derselben Einstellung und denselben Erfahrungen. Man kann seine eigene Kultur leben und gleichzeitig andere Kulturen kennen lernen und erfahren. Zur Zeit bin ich gerade dabei, meinen Abschluss in Musikethnologie zu machen.Cahit O-Ton 16 In London bist du anderen Kulturen mehr ausgesetzt als anderswo. Zum Beispiel hatte ich gar kein besonderes Interesse an Balkanmusik, bevor ich in die Balkanmusikgruppe mit einstieg Es war reiner Zufall. Ich spielte in dieser irischen Band, und einmal bei einem Gig hörte ich unten, wie Leute Balkanmusik spielten. Und Naren kam und sagte: "Das ist ein türkische Geiger. Warum spielst du nicht mit uns?" Wenn ich ihn damals nicht gesehen hätte, hätte ich wohl niemals mit Balkanmusik angefangen. Und das sind diese Möglichkeiten, die dir London gibt - das ist das, was ich meine. Cahit Musik 8 1'15'' Cahit O-Ton 17 Wenn Du offen bist und Interesse hast an der Kultur anderer Leute, dann hast Du diese Möglichkeit, Du wirst einfach involviert. Cahit Musik 9 3'51'' Cahit O-Ton 18 über Musik OK, ich wollte ein Volkslied spielen. Cahit O-Ton 19 über Musik Es ist ein deyis , wie wir es nennen, eine Art philosophisches Volkslied. Kulahmet war derjenige, der es gesungen hat und von dem wohl auch Text und Musik stammen. Der Dichter spricht zum Morgenwind und erzählt ihm, wie es ihm geht, und dass er seiner Liebsten mitteilen soll, wie er sich fühlt - denn es geht ihm nicht gut. "Sag ihr, dass es mir nicht gut geht und richte mich wider auf." Das Lied dreht sich immer wieder um dieses Thema und gegen Ende heißt es: "Wenn ich jemals jemand anderen lieben sollte, dann bring mich um." Wie die meisten Volksgedichte ist es sehr leidenschaftlich. MODERATION Frage an Jenny Fuhr: Gibt es eine indische Szene in London? JF 7) Portrait Narendra Kotiyan (Jenny Fuhr) 22:50 Naren O-Ton 1 Mein Name ist Narendra Kotiyan.Naren O-Ton 2 Ich studierte Optik und bekam die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen. Und so kam ich nach London. […] Später realisierte ich, dass es eine Schottische Kirche war. Ich kam im September 1957 nach London und hatte erst einmal viele Schwierigkeiten, eine Wohnung, und besonders einen Job zu finden, weil es sehr viel Diskriminierung gab. Zu der Zeit wurden alle dunkelhäutigen Menschen als sogenannte "Couloureds" in einen Topf geworfen. Ich habe das alles als Herausforderung gesehen und habe mir gesagt, hm, ich sollte etwas ändern. Und irgendwie fing ich mit Scottish Country Dance an. […] Das sind alles festgelegte Tänze, die man lernen muss. Naren Musik 1 Naren O-Ton 3 über Musik Nach einiger Zeit war ich soweit, dass ich die meisten Tänze kannte. Eines Tages kam ein alter Gentleman zu mir und sagte:"Junger Mann, wollen Sie nicht vielleicht Highland Tanz lernen?" Und ich sagte: "Oh ja bitte!!" Ich wusste nicht, dass dieser Gentleman der Highland-Tanzlehrer war, Jack McKonaky (?). (...) Und damit hat alles angefangen. Meine ganze Karriere im internationalen Volkstanz und in der Volksmusik hat mit dem Schottischen Tanz angefangen und ich schulde ihm sehr viel Respekt. [...] Ich habe es inzwischen aufgegeben, weil es einfach so viele andere Dinge zu tun gab.Naren O-Ton 4 In der Scottish Corporation Hall tauchte eines Tages eine russische Tanzgruppe auf, um etwas zu demonstrieren. Ich war so eingenommen davon, dass ich zu der Gruppenleiterin ging und fragte : "Wo probt ihr?" Und sie sagte: "Komm doch einfach vorbei." Das tat ich, und so fing ich mit russischem Tanz an.Naren O-Ton 5 Ich trat auch einer bulgarischen Tanzgrupe bei, die von der Gesllschaft für Britisch-Bulgarische Freundschaft war. Die russische Tanzgruppe war bekannt als Balalaika Tanzgruppe und wurde von der Gesllschaft für Britisch-Sowjetische Freundschaft organisiert. Wenn Du zu dieser Zeit Mitglied einer derartigen Gesellschaft warst, war das gleichzeitig ein Bekenntnis zum Kommunismus. Deshalb konnte ich zu dieser Zeit nicht in die Gesellschaft für Internationalen Volkstanz eintreten, da sie niemanden akzeptierten, der in solchen Gesellschaften aktiv war. Aber ich tanzte in der bulgarischen Gruppe, weil ich einfach tanzen wollte. Naren Musik 2 Naren O-Ton 6
In der Zwischenzeit lernte ich auch irische Tänze. […] Es gibt Gemeinsamkeiten, aber im Schottischen Country Tanz sind die Schritte leicht stilisiert, während im Irischen Tanz alles ganz frei ist. Vor allem, wenn man genug irischen Whiskey getrunken hat [lacht], dasselbe gilt natürlich auch für den schottischen Whiskey. Und so kam ich zur Irisch-Gälischen Gesellschaft.Naren O-Ton 7 Zur selben Zeit gründeten wir Dunav, unsere Balkan-Musikgruppe. Dadurch fing ich eigentlich erst an, richtig Musik zu machen, Bis dahin hatte ich nur gelegentlich Trommel zum Tanz gespielt. […] Ich spielte Percussion, aber für mich war es auch immer eine Herausforderung, andere Instrumente zu lernen. Ich habe nie wirklich Musik studiert, ich spiele einfach. Die Instrumente, die ich habe, habe ich entweder von Instrumentenbauern oder von Musikern geschenkt bekommen. Und es sind ihre guten Wünsche und ihr Segen, die sich durch diese Instrumente auf mich übertragen, seien es Streich-, Perkussions- oder Blasinstrumente. Ich spiele einfach, und es funktioniert.Naren O-Ton 8 Da ich die Musik fühle, weiß ich auch, was in der nächsten Phrase kommt, und so spiele ich einfach. Sogar bei der Perkussion spiele ich niemals die ganze Zeit das Gleiche. […] Man muss die Melodielinie, die man hört, ausschmücken. Sonst würde ich einschlafen. Naren Musik 3Naren O-Ton 12 Wir spielen in dem Sinne nicht nur traditionelle Instrumente in Dunav. Wir haben Geigen, ein Akkordeon... Ich selbst spiele Perkussionsinstrumente, Blasinstrumente oder was auch immer, und versuche immer, den bestimmten Klang einer Region wiederzugeben. Ich spiele einfach so, ohne zu üben.Naren O-Ton 13 Ja, in der Tat, ich glaube, London ist zur einzig wirklich multikulturellen Stadt in ganz Europa geworden.Naren O-Ton 14 Ich spiele in sieben verschiedenen Gruppen. Und ich singe außerdem mit dem Londoner Bulgarischen Chor. Das ist besonders wichtig, denn wir haben gerade das Halbfinale des "Chor des Jahres Wettbewerb" von BBC 3 gewonnen und freuen uns nun auf das Finale am 10. Dezember im Millenium Centre in Cardiff. Naren Musik 4 Naren Musik 5Naren O-Ton 15 Folklore, Volkstanz und Musik werden nicht kommerzialisiert, und darüber bin ich froh. Denn wenn man einmal in diese Falle tappt, dann sind es die Medien, die alles manipulieren wollen und die Dinge verändern. Und das will ich nicht. Aber es gibt auch eine traurige Seite - dass es nämlich nicht richtig wahrgenommen wird - sogar hier in Europa. Unsere Gesellschaft für Internationalen Volkstanz ist jetzt 60 Jahre alt. Wir bekommen keine finanzielle Unterstützung. Es ist eine Verein, der auf ehrenamtlicher Arbeit basiert, und wir machen einfach immer weiter, auch ohne Unterstützung. Naren Musik 6 MODERATION Narendra Kotyan. Ein Inder entdeckt in London den Balkan. Jenny Fuhr hat seine Arbeit beobachtet und ihn interviewt.In den Musikpassagen ging es heute um Begegnungen verschiedener Kulturen in London. Es ging nicht um den "Melting Pot", der gern mit dominierenden Hip-Hop-Rhythmen beschworen wird, - das ist nur eine Seite der Medaille, oder auch nur ein Detail auf der einen Seite der Medaille. Man ist erstaunt zu erleben, dass gerade die Zugewanderten auf der Klarheit und Besonderheit der einzelnen Kulturen beharren. Wie sagte doch Narendra Kotyan soeben? "Folklore, Volkstanz und Musik werden nicht kommerzialisiert, und darüber bin ich froh. Denn wenn man einmal in diese Falle tappt, dann sind es die Medien, die alles manipulieren wollen und die Dinge verändern."Gut, auch wir gehören zu den Medien, - aber auch die Medien-Medaille hat mehr als 2 Seiten, sogar viel mehr. Diese Sendung heißt zum Glück nicht Musik-Medaillen, sondern Musikpassagen. Es waren auch nicht DIE Londoner Musikpassagen, es waren Begegnungen in London, mit drei konkreten Menschen. Kein Portrait der Stadt. Vielleicht zeigt sich im konkreten Einzelfall eher etwas vom Ganzen als in einer pauschalen Übersicht mit Schwerpunkt "Melting Pot", - denn dieser Schmelztiegel ist eine bloße Idee, eine Wunschvorstellung, ein Cliché. Übrigens leicht umzumünzen: "Melting Pot" WDR 3. Viele Konzerte, die hier gesendet werden, könnten mit gleichem Erfolg in Kalkutta, Paris oder London gesendet werden. Ja, und natürlich "Melting Pot" Indische Musik. Ganz bestimmt! Enthält sie nicht Emotionen aller Menschen? Aller Menschen, die sich darauf einlassen? Sehnsucht, Traurigkeit, Zärtlichkeit, Freude, Überschwang? "Melting Pot" Pantheon Bonn, 27. November 2006. Purbayan Chatterjee, Sitar; und: Sandip Banerjee, Tabla. 8) Purbayan Chatterjee: Raga Sohani (vollständig) 8:05 plus Beifall Auf WDR 3 hörten Sie Musikpassagen, "Londoner Begegnungen" mit Jenny Fuhr. Portraits der Musiker Paddy Bush, Cahit Baylav und Narendra Kotiyan. Und zuletzt den nordindischen Sitarspieler Purbayan Chatterjee mit dem Tablaspieler Sandip Banerjee in einem Konzert, das am 27. November 2006 im Bonner Pantheon stattgefunden hat und am 22. Februar 2007 in voller Länge gesendet wird. (Beifall allmählich weg)Lob, Tadel, Zuspruch, Fragen und Anregungen zu den Musikpassagen sind wie immer willkommen, die Nummer unseres Hörertelefons wird im folgenden Trailer genannt. Die Musikliste der Sendung wird gerade von unserem Produktionsassistenten Ralf Haeger hergestellt und ist dann auf den Internetseiten von WDR 3, Musikpassagen, anzuklicken. Die Redaktion der Sendung hatte Bernd Hoffmann, die Technik lag in den Händen von Alexander Hardt und Tjard Reimann. Weitere Hinweise zu Manuskript und Literatur auf meiner Webseite. Ich verabschiede mich, danke Jenny Fuhr für die Mitwirkung und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, für die Aufmerksamkeit. Ihr Jan Reichow. |
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