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Schubert und die Romantik des Fremden
Andererseits verkörpert kaum jemand das Österreichische in der Musik so wie Schubert, und trotz der beiden Abstecher nach Ungarn wäre er wohl auch bei besserer Gesundheit kein großer Reisender geworden. Der lange Weg der "Winterreise" umschreibt ein relativ kleines Areal: der lethale Schlusspunkt befindet sich nicht in blauer Ferne, sondern einfach an sozial niederster Stelle: beim Leiermann. So sehr Schubert die Landschaft verinnerlicht hat, die seine Heimat war, so sehr hat ihn doch die innere Fremdheit auf Wege geführt, die allen land- und weltläufigen Normen zuwiderliefen: der Mann, der am laufenden Band für den Freundeskreis Tanzmusik erfand, blieb um so hellhöriger für alles, was ganz anders war. Hier wie dort ist es "eine im ökonomischen Sinn untaugliche künstlerische Existenz, die sich in Schuberts Musik äußert" (Nyffeler). Das wirklich kulturell Fremde hätte er natürlich in jener Zeit nicht ernsthaft würdigen können, ebensowenig wie noch 25 Jahre nach ihm der Franzose Berlioz, der es auf der Weltausstellung in London hautnah erlebte: "...die Orientalen [sprechen] von Musik da, wo wir höchstens von Katzenmusik sprechen, und für sie - genau wie für die Hexen in Macbeth - ist das Scheußliche das Schöne." ![]() Und doch gab es in der Schubertschen Musik "Flussbetten" (Gülke), die allem widersprachen, was die europäische Musik mit Beethoven errungen hatte, während sie seit alters zu den Rahmenbedingungen der indischen Praxis gehören. Ein Vortrag mit Gedankensprüngen: man kann am Beispiel der vielleicht schönsten "fremden" Musik, die zu einem bestimmten Zeitpunkt wohl nur in Wien, dem Mittelpunkt westlicher Kultur, entstehen konnte, auch die wirkliche Entfernung ermessen, die zwischen uns und der Musik der Fremde liegt. |
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