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Übungen

Die vier Prinzipien des Übens im Flow
von Andreas Burzik (Link s. u.)

Flow-Zustände beim Üben werden durch die Konzentration auf die folgenden Aspekte der instrumentalen Praxis erzeugt:

  1. Der Kontakt zum Instrument

    Entscheidend sind die Punkte, an denen ein Spieler unmittelbare Berührung mit seinem Instrument hat. Von größter Bedeutung ist hier eine optimale und effektive Kraftübertragung aus dem Körper über diese Berührungspunkte auf das Instrument. Eine derartig optimierte Kraftübertragung äußert sich für den Spieler in dem Gefühl einer "satten" taktilen, d.h. durch den Tastsinn vermittelten Verbindung zum Klangkörper. Sie bietet dem Spieler ein Höchstmaß an Sicherheit und Information bei der Erarbeitung und Bewältigung schwieriger Passagen.
    Musiker können in der Regel gut beschreiben, wie sich ihr Instrument anfühlt, wenn sie optimal disponiert sind und "alles läuft". Beim Üben im Flow wartet der Musiker nicht darauf, dass sich dieses Gefühl zufällig im Laufe seines Übens einstellt, vielmehr etabliert er es bewusst am Anfang einer jeden Übesequenz.

  2. Die Entwicklung des Klangsinnes

    Bei der Entwicklung des Klangsinnes handelt es sich in erster Linie um eine gezielte Sensibilisierung für den Obertonbereich der selbst erzeugten Töne, also für den Klang bzw. die Klangqualität. Das bewusste Experimentieren mit Beeinflussungen des Obertonspektrums durch Veränderungen der Spielweise kann hier Unterschiede hinsichtlich der Brillanz, Tragfähigkeit und Weite eines Tones eindrucksvoll erfahrbar machen. Eigentliches Ziel einer derartigen Klangschulung ist das Erzeugen einer Tonqualität, die vom Spieler selbst als schön, angenehm und wohltuend empfunden wird. Für alle Instrumentalisten gilt, daß dieser ästhetische Klang eine Art Ausgangsbasis darstellt, von der aus die verschiedenen in Stücken verlangten Ausdrucksformen und Klangfarben spielerisch erkundet werden können. Eine derartige auf die Tonqualität gerichtete Konzentration fördert zudem ein äußerst genussreiches Aufgehen in den selbst erzeugten Klängen. Sie kann bei konsequenter Anwendung regelrecht "high" machen und ist in der Lage, den gesamten Übeprozess zu tragen.

  3. Das Gefühl der Anstrengungslosigkeit

    Jegliche Aktivität am Instrument sollte in einem Gefühl der Anstrengungslosigkeit geschehen. Gemeint ist hier nicht eine völlige Entspannung, eine Schlaffheit, sondern ein Körpergefühl des nicht angestrengten, leichten, fließenden Tuns. Ein zentraler Aspekt dieser Übemethode ist daher, das Gefühl der Anstrengungslosigkeit jederzeit beizubehalten. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, jede einzelne Aktion an eben dieses Gefühl anzupassen. Konkret bedeutet dies beispielsweise, für eine technisch schwierige Stelle zunächst einmal eine Form der Vereinfachung zu erfinden, in der diese Stelle ohne ein subtiles Gefühl der Verkrampfung, das eine Überforderung des Bewegungsapparates signalisiert, ausgeführt werden kann. Diese Form stellt den Ausgangspunkt des weiteren Übeprozesses dar. In seinem Verlauf wird dann die Grenze dessen, was im Gefühl der Anstrengungslosigkeit bewältigt werden kann, kontinuierlich erweitert.

  4. Der spielerische Umgang mit dem Übematerial

    Zu Beginn einer jeden Übesequenz sollte in jedem Falle zunächst - in Form von einzelnen Tönen oder leichten Melodien - der oben beschriebene Kontakt zum Instrument, zum Klang und zum Gefühl der Anstrengungslosigkeit etabliert werden. Hat man dieses Gefühl erreicht, kann man sich an die Erarbeitung der aktuellen Literatur machen. Diese sollte zunächst in einem improvisierenden Herumspielen mit den Tönen des studierten Werkes bestehen. Die Bewegungen sind frei und schwingend, man "tanzt" mit dem Stück. Notenwerte, Bindungen und dynamische Vortragszeichen müssen nicht beachtet werden. Die Bemühung ist hier darauf gerichtet, das vorgegebene Tonmaterial zunächst einmal in optimal klingende Töne umzusetzen und dabei die Aufmerksamkeit auf den oben beschriebenen dichten und "stimmigen" Kontakt zum Instrument und zum erzeugten Klang zu richten. In der Regel entsteht spontan eine musikalische Dynamik, die unmittelbar in den Geist des studierten Werkes führt und für die notwendige seelische Beteiligung am Übeprozess sorgt, aber frei ist von den Zwängen einer "richtigen" oder "perfekten" Interpretation. Hier entsteht das Flow-Gefühl, man taucht ein in einen kontinuierlichen Handlungsstrom. Der weitere Übeprozess behält diesen improvisierenden Zugang zum Werk bei, nähert sich jedoch nach und nach der vorgesehenen Endfassung. Das Zentrum des Übens sollte hierbei unbedingt das Gefühl der Anstrengungslosigkeit bleiben, man "surft" quasi auf diesem angenehmen Körpergefühl.


  5. Copyright Andreas Burzik
    Abdruck an dieser Stelle mit freundlicher Genehmigung (6.Nov.08).
    Weiteres zum Thema s. www.ueben-im-flow.de
    [ eingegeben am 08.11.08 ]

Jürgen Uhde über "Forschendes Üben" am Klavier:

" An technischen Übungen mit ihrer meist überaus einfachen Struktur kann bereits die feine Balance zwischen Spannungs- und Entspannungsprozessen studiert werden, statt bei Technik den musikalischen Atem schlichtweg zu vergessen. Denn nicht weniger unzulänglich als ein falscher Ton oder ein unebener Anschlag ist eine falsche Disposition der dynamisch agogischen Kurve. " (S.489)
" Solch geduldig forschendes Üben läßt sich zunächst nicht an eine streng durchgehende Tempoachse fesseln; ein stur einheitliches, gar metronomisches Tempo am Beginn des Übens würde das gerade entstehende mimetische Leben rigoros beschneiden. So wäre anfänglich ein sorgfältig aushörendes Rubato, das Gegenteil von willkürlichem Rubato, beim Üben nicht nur erlaubt, sondern geboten. Die einzelne Geste will einmal im Prozeß des Übens erscheinen, als wäre sie allein auf der Welt. Diese expressive Aufladung, diese Stauung im Detail, im Für-sich-sein des Einzelnen muß aber dann wieder in den Zug des Ganzen entlassen werden, in ihm aufgehoben sein in der zweifachen Bedeutung: preisgegeben und bewahrt zugleich. " (S. 490)
Jürgen Uhde / Renate Wieland
Denken und Spielen - Studien zu einer Theorie der musikalischen Darstellung
Kassel 1988
[ eingegeben am 06.03.06 ]

[Musikalische Übung bildet Regelkreise, die nahezu das gesamte Hirn beanspruchen:
Verknüpfungen, die auf andere Weise nicht zustandekommen]

" In den 70er-Jahren hatte erstmals der Wiener Neurophysiologe Hellmuth Petsche gezeigt, dass an der Verarbeitung von Musik im Gehirn nahezu der gesamte Kortex beteiligt ist.
Und der Harvard-Neurologe Gottfried Schlaug wies Mitte der 90er-Jahre nach, dass der die linke und rechte Hemisphäre verbindende Balken in Musiker-Hirnen stärker entwickelt ist als bei Nichtmusikern.
Diese Struktur erleichtert es dem asymmetrischen Zentralorgan, mehrere übers Hirn verteilte Aufgaben zu verbinden, also in Kontexten zu handeln - ob nun sozialer oder technischer Natur.
Dass sie sich bildet, ist eine fast automatische Folge des Musizierens. So müssen sich beim Instrumentenspiel beide Hände über die Hirnbrücke hinweg koordinieren.
Und auch die weiteren simultanen Aktivitäten etwa des Hörzentrums lassen beim Musiker durch Übung einen Regelkreis entstehen, der nahezu das gesamte Hirn beansprucht:
Die beteiligten Neuronen bilden 'Ensembles', wie Nils Birbaumer an der Universität Tübingen in Hirn-Scans beobachtet hat:
Verknüpfungen, die auf andere Weise nicht zustandekommen." (S. 59)

SZ Wissen 07/2006
Titelthema: Die Essenz des Menschseins / Erst durch die Musik konnte sich der Homo Sapiens entwickeln - Rhythmus und Klang haben ihm Kraft und Intelligenz gegeben
von Philip Wolff, S. 44 - 59

[ eingegeben am 29.01.06 ]
[Üben - ohne zu moralisieren]
" Die erste Fähigkeit ist, nicht der menschlichen Neigung nachzugeben, sich zu kritisieren, und die eigene Leistung als entweder gut oder schlecht zu bewerten. Die zerstörerische Selbstreflexion zu unterlassen, ist ein wesentlicher Schlüssel zum Inneren Spiel; (...).
Wenn wir das Kritisieren verlernen, ist es möglich, daß uns spontanes, konzentriertes Spielen gelingen wird. " (S. 28)

" ...mit dem Reflektieren aufhören, bedeutet nicht, die Fehler nicht zu sehen.
Es bedeutet ganz einfach, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nichts hinzuzufügen. " (S. 31)

W. Timothy Gallwey Tennis und Psyche / Das Innere Spiel
München 1977

[ eingegeben am 29.01.06 ]

Ermutigung für Instrumentalisten

aus Goethes Drama: " Künstlers Apotheose", (dort auf Bildende Kunst bezogen):
Drum übe dich nur Tag für Tag,
Und du wirst sehn, was das vermag!
Dadurch wird jeder Zweck erreicht,
Dadurch wird manches Schwere leicht,
Und nach und nach kommt der Verstand
Unmittelbar dir in die Hand.
( Johann Wolfgang von Goethe, Künstlers Apotheose, veröffentlicht 1789;
[ Google-Suche nach dem Volltext ]
s.a. Sophien-Ausgabe Bd.16 )

zum Stichwort "Hand" interessantes Kapitel Hände in:
Robert Jourdain Das wohltemperierte Gehirn / Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt
Heidelberg Berlin 1998 / S. 255 ff

" ...daß das Gehirn Arme und Hände weitgehend unabhängig voneinander steuert. Beide haben nicht nur im motorischen, sondern auch im prämotorischen Cortex, wo komplexe Bewegungen zusammengestellt wurden, ihre eigenen Bereiche. Darüber hinaus scheint das Cerebrellum feine Handbewegungen zu überwachen, während die Basalganglien für die Arme zuständig sind. Befehle für Arme und Hände werden über getrennte Bahnen des Rückenmarks weitergeleitet (...). Interessanterweise gibt es Hinweise darauf, daß das Gehirn Anweisungen für die Arme schneller ausgibt als für die Finger. " (S.269)
[ eingegeben am 18.01.06 ]



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